49 Euro Ticket im ländlichen Raum

Autor Marcel Hardrath
Tarife als Fragestellung im Bürgerdialog auf einer Pinwand

Seit dem 12.10.2022 diskutieren Bund und Länder über eine konkrete Nachfolgelösung zum 9-Euro-Ticket. Im ländlichen Raum wird ein solches Ticket allein nicht nachhaltig zur Verkehrswende beitragen.

Seit dem Abend des 11.10.2022 überschlagen sich die Medien mit Berichten zu einem Nachfolgeticket für das 9-Euro-Ticket. So berichtete RND bereits gegen 20:30 Uhr über ein “Eckpunktepapier” mit konkreten Inhalten und einer Preisnennung von 49 Euro pro Monat im Abo. Im Verlauf des 12.10.2022 erfolgten weitere Meldungen, insbesondere der RBB bringt im Tagesverlauf immer neue Berichte mit Stimmen der verantwortlichen Minister aus Berlin bzw. Brandenburg. Im Verlauf des späteren Tages stimmen immer mehr Medien auf einen “Durchbruch” in den Gesprächen bzw. dem für den Abend geplanten Kamingespräch als wichtige Weichenstellung ein.

Das immer wieder angeführte “Eckpunktepapier” wird als Kompromiss und Lösung erläutert, die mit vielen “Stakeholdern” bereits abgestimmt sei.

Das Papier selbst wird von keiner der genannten Quellen bis zum 12.10.2022 veröffentlicht bzw. im Volltext wiedergegeben. Konkret wird eine Passage in den meisten Berichten häufig aufgeführt:

Das Ticket soll zum Start für den Preis von 49 Euro im Jahresabo erhältlich sein.
fr.de, Eckpunktepapier der Verkehrsministerkonferenz zu Grundsätzen eines bundesweiten ÖPNV-Tickets

Weitere Infromationen dazu finden sich nur spärlich.

Grundsätzlich sollte bei jeder Diskussion um Nachfolgelösungen beachtet werden, dass es sich beim 9-Euro-Ticket um einen Feldversuch ohne Begleitforschung handelte. Dementsprechend ist es schwierig die Wirkungen genau einzuordnen, insbesondere da der Durchführungszeitraum mit 3 Monaten (dazu noch in den Sommerferien der einzelnen Bundesländer) stark begrenzt war und die weiter bestehenden Einschränkungen (Maskenpflicht) und Reduzierung der Kraftstoffpreise (im Gltigkeitszeitraum) auch Auswirkungen auf die Nachfrage hatten.

Der Preis selbst ist nach herrschender Meinung nicht ausschlaggebend für die ÖPNV-Nutzung. Die Angebote des SPNV und StPNV haben gegenüber dem MIV insbesondere den Nachteil der Komplexität (Tarifsysteme) und des begrenzten Angebots an Linienleistungen je nach Landkreis, Zweckverband bzw. Bundesland (bestellte Verkehrsleistungen). Eine Verkehrswende bedarf daher nicht in erster Linie niedriger Preise, sondern einer Verringerung der Komplexität und einem mehr an Orientierung an Kundennachfrage, hier insbesondere im ländlichen Raum.

Während die Nachfrage in Ballungsräumen nach SPNV-Leistungen generell sehr hoch war, konnte man gerade im ländlichen Raum keinen einheitlichen Anstieg an Beförderungsfällen beobachten. In Bezug auf die SPNV-Leistungen zwischen Kassel und Halle (also Verbindung der ländlichen Räume mit Zentren) wurde z.B. vorab mit keiner großen Zunahme gerechnet, im Nachgang handelte es sich allerdings um den wohl größten Beförderungsanstieg im Bundesschnitt bei der DB Regio. Im StPNV der einzelnen Landkreise gab es in den gleichen Gebieten jedoch nur kleine Zugewinne bei den Beförderungszahlen.

Was ein Nachfolgeticket betrifft, ist ein gestaffeltes Angebot weiterhin zielführender, als einen Einheitspreis für alle Nutzer. Vereinfacht ausgedrückt sollte zwischen Verkehren innerhalb von Gemeindegrenzen und über Gemeindegrenzen sowie nach Leistungsspektrum unterschieden werden:

  • Innerhalb von Gemeinden

    Nutzer die Bus, Straßenbahn und S-Bahn nur täglich innerhalb ihrer Gemeinde nutzen, sollten nicht zur Finanzierung von übergreifenden Verkehrsangeboten herangezogen werden. Hier wäre ein Gemeindeticket für 20 Euro im Monat eine Lösung und dies würde auch eine klare Aussage zur Verkehrsvermeidung, gegen Zersiedelung und für moderne Stadtentwicklung setzen. 

  • Über Gemeindegrenzen

    Nutzer die regelmäßig Strecken mit dem SPNV zurücklegen könnten für 40 Euro im Monat ein entsprechend sozialverträgliches Angebot erhalten. Dabei würde sich der Preis an dem Satz für Mobilität beim Arbeitslosengeld 2 (40,27 Euro pro Monat) orientieren und bisherige Rabattierungen und Sozialtickets unnötig machen.

  • Nutzer in Nebenverkehrszeiten

    Nutzer die darüber hinaus On-Demand-Angebote (appbasierte Rufbusse im Flächenbetrieb zu Nebenverkehrszeiten bzw. als Zubringer zu Achsverkehren) und in der ersten Klasse befördert werden möchten könnten mit 69 Euro im Monat eine Art Premium Ticket erwerben.

  • Wenignutzer/ Neukunden

    Nutzer die kaum den ÖPNV-Nutzer und ihn erst für sich entdecken wollten, sollten für 8 Euro pro Tag deutschlandweit im Nahverkehr mobil sein.

  • Schüler und Auszubildende

    Schüler und Auszubildene sollten weiterhin eine Rabattierung von 25 % auf den jeweiligen Fahrpreis erhalten.

Bei den Punkten 1- 3 ist zu berücksichtigen, dass das jeweils höhere Angebot die darunter liegenden Leistungen automatisch miteinschließen (69 Euro als maximaler Preis für 1-3) könnten.

Ungeachtet von Tarifen bleibt zu berücksichtigen, dass ohne mehr flexible Angebote im ländlichen Raum eine Verkehrswende nicht erreichbar sein wird.

Der Großteil der Bevölkerung in Deutschland wohnt nicht in urbanen Räumen, sondern in Mittelstädten und kleinen Gemeinden.

Hier gilt es neue Lösungen zu entwickeln, die nicht dazu dienen sollten den Erstwagen zu ersetzen, sondern eine Alternative zum Zweit- bzw. Drittwagen aufzubauen und die Realität der Pendlerverkehre in den Blick zu nehmen.

Grundsätzlich wäre es zudem sinnvoll nicht allein zwischen Bund und Ländern zu verhandeln, sondern insbesondere besondere die Landkreise und ihren Spitzenverband auf gleicher Augenhöhe an den Gesprächen zu beteiligen.

Praktikable Lösungen entwickelt man nicht fernab in Kamingesprächen, sondern lokal vor Ort.